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Dienstag, 13. April 2010

Das Gutachten



1. Gutachtenstil

In aller Regel wird von Ihnen in der Hausarbeit ein Rechtsgutachten verlangt. Ein solches ist grundsätzlich im sog. Gutachtenstil zu verfassen. Dieser unterscheidet sich vom Urteilsstil dadurch, daß im Gutachten Fragen aufgeworfen und einer Lösung zugeführt werden, während im Urteil das Ergebnis am Anfang steht und im weiteren Verlauf begründet wird. Charakteristisch für den Gutachtenstil sind Wendungen wie "Fraglich ist, ob ...", "Dies ist der Fall, wenn ...", "somit", "daher" etc., während der Urteilsstil durch knappe Aussagesätze und Begründungswendungen wie z.B. "Die Klage ist begründet, weil ..." oder "Der Anspruch aus § 823 I besteht, denn ..." geprägt ist.

a) Obersatz

Die Argumentation folgt beim strengen Gutachtenstil dem Ablauf: Obersatz, Subsumtion und Ergebnis. Insbesondere durch die klare Formulierung von Obersätzen können Sie dem Korrektor zeigen, daß Sie den Überblick bewahren, und die Arbeit so von anderen abheben. Daneben hilft der Obersatz auch Ihnen und dem Korrektor, sich in der Arbeit zu orientieren.

Dabei enthält der Obersatz in Ihren eigenen Worten die Zusammenfassung der Voraussetzungen des aktuellen Gegenstands Ihrer Prüfung (z.B. die Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruchs). Schreiben Sie dabei auf keinen Fall nur das Gesetz ab, sondern beziehen Sie die Voraussetzungen schon auf den konkreten Fall. Wenn es zu einem einschlägigen Begriff eine anerkannte Definition gibt, sollte diese bereits im Obersatz oder im unmittelbaren Anschluß daran auftauchen.

Beispiele:

"Voraussetzung des Anspruchs aus § 823 I ist, daß A rechtswidrig und schuldhaft ein absolutes Recht oder Rechtsgut des B verletzt hat"

"V kann von K Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II verlangen, wenn zwischen beiden Parteien ein wirksamer Kaufvertrag besteht, der Anspruch nicht erloschen ist und dem K auch keine Einreden dagegen zustehen"

"Das Vertragsangebot des B muß dem A zugegangen sein (§ 130 I 1), d.h. es muß dergestalt in seinen Machtbereich gelangt sein, daß unter gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen war."


Bei komplexeren Anspruchsvoraussetzungen ist es oft nicht ratsam, alle Voraussetzungen in einen Obersatz zu fassen, der womöglich länger wäre als die nachfolgende Subsumtion. Aber auch hier empfiehlt es sich, wenigstens den aktuellen Gegenstand der Prüfung zu umreißen und durch eine Formulierung wie "zunächst" klarzustellen, daß noch mehr nachfolgt:

Beispiele:

"Voraussetzung für einen Anspruch gegen X aus § 816 I ist zunächst, daß X über die Vase verfügt hat. Verfügung i.S.v. § 816 I ist jedes Rechtsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar begründet, übertragen, aufgehoben, belastet oder geändert wird."

"Hierfür ist in erster Linie entscheidend, ob B und X einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen haben."


Hüten Sie sich bei der Formulierung von Obersätzen – wie überhaupt beim Gutachtenstil – vor der inflationären und falschen Anwendung des Konjunktivs. Häufig werden Sätze wie "Die Klage hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet wäre" geschrieben, die grammatikalisch schlicht falsch sind. Denn durch den Einsatz des Konjunktivs in diesem Kontext (als Irrealis) nehmen Sie das (negative) Ergebnis der Prüfung vorweg (der vorige Satz müßte eigentlich fortgeführt werden mit "Hat sie aber nicht.").

Verfehlt sind in einem Gutachten auch langatmige abstrakte Erörterungen im Obersatz, die ohne Bezug zum Fall bleiben. Sie sollen in der Hausarbeit nicht alles schreiben, was Sie wissen, sondern ausschließlich Ihr Wissen auf konkrete Sachverhalte anwenden. Jeder Satz, den Sie schreiben, muß Sie der Lösung des Falles näherbringen.

b) Subsumtion

Bei der Subsumtion kommt es vor allem darauf an, daß Sie sehr genau mit dem Sachverhalt arbeiten. Nehmen Sie alle Hinweise aus dem Sachverhalt auf (die Sie beim Durchlesen bereits markiert haben!) und bauen Sie sie in die Lösung ein, indem Sie sie dem richtigen Tatbestandsmerkmal zuordnen. Nur sehr selten wird ein Aufgabensteller sich die Mühe machen, irgendwelche Details im Sachverhalt zu erwähnen, wenn er damit nicht auch Hinweise für die Lösung geben möchte. Insbesondere wenn es um Erklärungen einer Partei geht, die in wörtlicher Rede wiedergegeben sind, wird von Ihnen in aller Regel eine Auslegung der Erklärung (nach §§ 133, 157) erwartet.

Unter keinen Umständen dürfen Sie aber selbst etwas zum Sachverhalt hinzuerfinden. Fehlt im Sachverhalt eine Angabe zu einem Umstand, der für Ihre Lösung von Bedeutung ist, so sollten Sie zunächst prüfen, ob Sie nicht einen Fehler gemacht haben, der Sie auf die falsche Bahn gebracht hat, und daß es in Wahrheit gar nicht auf den betreffenden Umstand ankommt. Denn in aller Regel werden Aufgaben so sorgfältig erstellt, daß zu allen relevanten Punkten auch Angaben im Sachverhalt enthalten sind. Als nächstes sollten Sie prüfen, ob es für den entsprechenden Umstand eine gesetzliche Vermutungsregel gibt, die Sie mangels anderslautender Angaben im Sachverhalt anwenden können. Dies betrifft z.B. die Geschäftsfähigkeit der Parteien (§§ 104, 105), das Verschulden beim Verzug (§ 285) und bei Unmöglichkeit (§ 282) sowie die Gutgläubigkeit bei den §§ 932 ff. Läßt sich auch eine solche Vermutungsregel nicht finden, so dürfen und müssen Sie die (beiden) in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten alternativ lösen.

c) Ergebnis

Am Ende Ihrer Subsumtion sollte immer die Antwort auf die Frage stehen, die Sie im Obersatz aufgeworfen haben. Beispiele (zu den oben unter a)) aufgeführten Obersätzen):

"Somit hat die Klage Aussicht auf Erfolg"

"Daher besteht ein Anspruch des A aus § 823 I auf Schadensersatz i.H.v. 500 DM."

"Mithin kann V von K Zahlung des Kaufpreises i.H.v. 1.200 DM verlangen." "Da jedenfalls um 10.00 Uhr mit der Kenntnisnahme der Erklärung durch A gerechnet werden konnte, ist sie ihm spätestens zu diesem Zeitpunkt zugegangen."


2. Ausnahmen vom Gutachtenstil

Daß Sie ein Gutachten anfertigen sollen, bedeutet nicht, daß Sie jeden Satz im strengen Gutachtenstil zu schreiben haben. Wenn das Ergebnis offensichtlich ist (d.h. ohne weitere Begründung in einem Satz darstellbar), sind Sie nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, dies im Urteilsstil festzustellen. Dadurch sparen Sie wertvolle Arbeitszeit, vermeiden die Verärgerung des Korrektors und zeigen, daß Sie Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden können.

Beispiele:

"Durch den Stich in den Oberarm hat B den Körper des A verletzt und damit den objektiven Tatbestand des § 823 I erfüllt"


Wenn im Sachverhalt angegeben ist, daß der Schädiger schuldlos gehandelt hat und der Sachverhalt auch keine Hinweise darauf enthält, daß eine Diskussion bestimmter Tatbestandsmerkmale erwünscht ist: "Ansprüche aus § 823 I und II scheiden schon mangels Verschuldens aus."

Ebenso können Sie offensichtlich vorliegende Tatbestände im Urteilsstil bejahen, z.B. (nach einer ausführlichen bejahenden Prüfung von § 823 II i.V.m. § 263 I StGB): "Die vorsätzliche Begehung einer Straftat gegen das Vermögen eines anderen ist immer auch sittenwidrig, so daß der Anspruch des B auf Schadensersatz auch aus § 826 begründet ist."

Seien Sie hier aber sehr vorsichtig und vergewissern Sie sich, daß Sie sich keine wesentlichen Probleme abschneiden. Gerade in Anfängerübungen wird von Ihnen gelegentlich gewünscht, daß Sie eine Norm sauber zu Ende prüfen, um zu zeigen, daß Sie die einzelnen Tatbestandsmerkmale beherrschen und sie definieren und subsumieren können. Auch reagieren manche Korrektoren (zu Unrecht) verärgert über jede Verwendung des Urteilsstils, so daß Sie in Zweifelsfällen lieber zu einem knappen Gutachtenstil greifen sollten, der auch in einem Satz möglich ist:

"Aufgrund der Zerstörung der geschuldeten Vase war es objektiv unmöglich, die Leistung noch zu erbringen, so daß der Primärleistungsanspruch nach § 275 I (bzw. nach dem Grundsatz "impossibilium nulla est obligatio") erloschen ist."

3. Genaues Arbeiten

Die Rechtssprache ist eine Fachsprache, und Rechtsbegriffe sind präzise definierte Begriffe, die nicht einfach durcheinandergeworfen werden dürfen, auch wenn die gleichen Begriffe in der Umgangssprache durchaus synonym sein können. Unterscheiden Sie also in Ihren Arbeiten präzise z.B. zwischen "Zustimmung" als Oberbegriff (§ 182 I), vorheriger "Einwilligung" (§ 183) und nachträglicher "Genehmigung" (§ 184 I). Hüten Sie sich auch davor, Rechtsbegriffe schon verfrüht in Sachverhaltsdarstellungen zu verwenden! Schreiben also Sie z.B. nicht "Die Willenserklärung des M könnte durch die Genehmigung seiner Eltern am 10.1. wirksam geworden sein", wenn Sie noch gar nicht geprüft haben, ob die Äußerung der Eltern tatsächlich eine Genehmigung i.S.v. § 108 I ist.

Genauigkeit ist auch beim Zitieren von Rechtsnormen erforderlich. Geben Sie stets Absatz und Satz, ggfs. auch Halbsatz (Hs.) und Alternative (Alt.) an. Allein § 325 I enthält z.B. fünf verschiedene Rechtsfolgen, die Sie stets sauber unterscheiden müssen: § 325 I 1 Alt. 1 und § 325 I 1 Alt. 2 (Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Rücktritt bei vollständiger Unmöglichkeit), § 325 I 2 Alt. 1 und § 325 I 2 Alt. 2 (Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Rücktritt bei teilweiser Unmöglichkeit), § 325 I 3 als Verweis auf die drei Rechte aus § 323.

4. Behandlung von "Problemen"

In vielen Hausarbeiten kommt es auf eine oder mehrere Fragen an, deren Beantwortung in der Rechtsprechung und Literatur umstritten ist. Dies sind die sog. "Probleme", an denen Sie Ihre Fähigkeit zu gründlicher Recherche und Argumentation beweisen können. Die Darstellung von Problemen beginnt regelmäßig mit einem einleitenden Satz, der dem Leser zeigt, was Sie für problematisch halten und warum das im vorliegenden Fall relevant wird.

Beispiel:

"V kann aber nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht in der Lage gewesen sein, G wirksam rechtsgeschäftlich zu vertreten. Ob diese Grundsätze auch dann anwendbar sind, wenn der vermeintlich Vertretene – wie hier – kein Kaufmann i.S.d. §§ 1 ff. HGB ist, ist umstritten."

Danach stellen Sie die verschiedenen Auffassungen dar, die in Rechtsprechung und Literatur vertreten werden. Dabei ist es zweckmäßig, mit derjenigen Meinung (bzw. denjenigen Meinungen) zu beginnen, die Sie am Ende ablehnen möchten. Argumentieren Sie zunächst in deren Richtung, und widerlegen Sie dann die eben vorgebrachten Argumente durch die Darstellung derjenigen Auffassung, für die Sie sich entscheiden möchten. Zeigen Sie auch stets kurz auf, zu welchem Ergebnis die Auffassung führen würde, damit sich der Leser (und Sie) ein Bild von den Auswirkungen der Entscheidung machen kann.

Vermeiden Sie bei der Problemdarstellung monotone Meinungszusammenstellungen nach dem Schema "Herrschende Meinung" – "Mindermeinung" – "Eigene Ansicht" oder "Rechtsprechung" – "Literatur" – "Eigene Ansicht", sondern finden Sie statt dessen Überschriften, die die beschriebenen Auffassungen inhaltlich charakterisieren; bei Theorien, die herkömmlicherweise schon unter einem bestimmten Namen bezeichnet werden, sollten Sie diesen verwenden, z.B. "Differenztheorie" – "Surrogationstheorie". Viel wichtiger als die "richtige" Entscheidung am Ende sind die Begründungen, mit denen Sie die möglichen Auffassungen vortragen. Dabei ist zu beachten, daß weder Kraftausdrücke wie "selbstverständlich" oder "zweifelsohne" noch Hinweise auf eine "h.M." oder "allg.M." eine Begründung ersetzen können und diese daher in Ihrer Hausarbeit regelmäßig fehl am Platze sind. Vielmehr wird von Ihnen im Rahmen einer Hausarbeit erwartet, daß Sie sich mit den wesentlichen einschlägigen Äußerungen in Rechtsprechung und Schrifttum auseinandersetzen.

Über die Zahl der Literaturstellen, die Sie dabei zusammentragen sollten, lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen machen. Jedenfalls sollten Sie für jede vertretenen Auffassung mindestens eine Originalfundstelle verwenden, d. h. einen Aufsatz oder ein Lehrbuchzitat, in dem der Autor die jeweilige Auffassung selbst vertritt und begründet, nicht nur als fremde Auffassung zitiert. Bei Rechtsprechungsnachweisen sollten Sie jedenfalls die jüngste Entscheidung zitieren, bei einer "ständigen Rechtsprechung" auch diejenige Entscheidung, in der die Rechtsprechung begründet wurde. Bei Lehrbüchern und Kommentaren sollten Sie ebenfalls ausschließlich die aktuelle Auflage verwenden. Hüten Sie sich dabei unbedingt vor sog. "Blindzitaten", sondern zitieren sie nur solche Fundstellen, die Sie selbst gelesen haben, denn Druckfehler und gelegentliche Fehlzitate lassen sich auch bei guten Kommentaren nie vermeiden; selbst der BGH zitiert sich manchmal falsch. Zudem lernen Sie nur dann gute juristische Argumentation, wenn Sie Meinungsäußerungen zu Streitfragen im Original und mit vollständiger Begründung nachlesen.

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